Der Fall Schubring
Duisburger Polizisten in der NS-Zeit
Teil 5: Täterforschung im Arbeitskreis Antiziganismus des Zentrums für Erinnerungskultur
Im Stadtarchiv Duisburg befindet sich eine Personenakte des 1912 in Rheinhausen geborenen Polizeibeamten Bernhard Schubring.i Sie berichtet über dessen berufliche Vita in den NS-Jahren und sehr ausführlich über den Umgang seiner Heimatstadt mit dessen NS-Biografie. Sie erhellt die damalige regionale Vergangenheitspolitik. Hier liegt ihr besonderer zeitgeschichtlicher Wert.
Schubring war der Sohn eines Walzwerkers. Die wenigen Daten zu seiner Mutter deuten auf deren migrantische Herkunft aus einer ruhrpolnischen Arbeiterfamilie hin.
Er wuchs also unter dem argwöhnischen antislawischen Blick der Rheinhausener Deutschvölkischen auf. Dem und dem eigenen Selbstzweifel mag er später durch besonders stramme Auftritte als Nazi zu begegnen bemüht gewesen sein, jedenfalls bewarb er sich 1933/34 um eine Mitgliedschaft in der SS, wurde aufgenommen und bereits 1934 in die „Elite“ der „Elite“, in die Leibstandarte SS Adolf Hitler nach Berlin berufen. Bis dahin war er als Arbeiter in den Hüttenwerken Rheinhausen berufstätig gewesen. Von der Leibstandarte kam er noch vor dem Krieg zur Sicherheitspolizei (Sipo), die die Kripo und die Gestapo umfasste und war als Kriminalassistent tätig. Zwar am unteren Ende der Hierarchie einzuordnen, hatte er doch einen sozialen Aufstieg ins Kleinbürgertum realisiert. Im weiteren Verlauf kam er zur Geheimen Feldpolizei (GFP) und wurde in Belgien eingesetzt, seit 1943 beim Kommandeur der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (KdS) Dinant. Dort machte ihn der Beauftragte des Befehlshabers der Sipo und des SD (BdS) in Brüssel SS-Standartenführer Constantin Canaris zum Kommandoführer. Leiter der Sipo und des SD – Nachrichtendienst der SS – war seit 1936 der SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich.
Die GFP, die „Gestapo der Wehrmacht“, bekämpfte hinter der Front mit terroristischen Methoden den belgischen Widerstand. Daraus ergaben sich folgerichtig nach der Befreiung belgische Strafverfahren.
Die Rechtsprechung berücksichtigte dabei aufgrund einer parlamentarischen Entscheidung entsprechend dem völkerrechtlichen Konzept der Verfolgung von crimes contre l‘humanité den Ausnahmecharakter der NS-Verbrechen.
Gegen vier Angehörige des KdS Dinant, unter ihnen Schubring, wurde in Namur, Hauptstadt der französischsprachigen Wallonie, ein militärgerichtliches Verfahren eröffnet. Anklagepunkte waren erstens Misshandlungen, Körperverletzungen, Tötungs- und Eigentumsdelikte und zweitens die Zugehörigkeit zu einer verbrecherischen Organisation (SS, Sonderkommando Ardennen). Die Details der verübten Verbrechen dürften die belgischen Ermittlungsakten schildern und so das Bild der Angeklagten konkretisieren können. Leider waren sie im Rahmen dieser Recherchen nicht auffindbar.
Hauptangeklagter war der 1945 festgenommene Schubring. Das Gericht stellte fest, dass er 1943 und 1944 an zahlreichen Tötungsdelikten beteiligt war. Am 13. Oktober 1949 wurde das Urteil gesprochen.ii Schubring wurde zum Tode verurteilt. Mit einer Strafverschärfung: Seine Hinrichtung sollte „öffentlich in Namur stattfinden“. Dem lagen die Alleintäterschaft bei der Ermordung von Georges Houbaye „im Geiste der Rache“, die Beteiligung an der Ermordung von Jean Miller, Gilbert Beauraing, Camille Maudoux und Hermann Dachy und der Totschlag von Jean Olivier zugrunde. Zahlreiche Raubtaten, Diebstähle und ein Fall der Hehlerei, die der Staatsanwalt ermittelt und Schubring im Hauptverfahren vorgeworfen hatte, ließen die Richter aufgrund von Beweismangel unsanktioniert. Ein zweiter Angeklagter erhielt lebenslängliche Zwangsarbeit, ein dritter sieben Jahre Zuchthaus und der vierte wurde wegen erwiesener Unschuld aus dem Verfahren entlassen.
Die Hinrichtung von Schubring wurde aus unbekannten Gründen aufgeschoben und 1957 begnadigte der belgische König den in Brüssel Einsitzenden zu lebenslänglicher Zwangsarbeit. Im Juli 1962 wurde die Haft zugunsten einer Abschiebung nach Rheinhausen ausgesetzt. Schubring befand sich in einer guten Verfassung, wie der Rheinhausener Bürgermeister Johann Asch in Brüssel im Vorfeld festgestellt hatte. Der Häftling machte auf ihn „keinesfalls den Eindruck eines gebrochenen Gefangenen“. Er fühlte sich rundum gesund.iii Schubring war 1962 von der Altersruhe noch weit entfernt. Es ist unbekannt, welchem Erwerb er nun nachging. Seine Spur verliert sich in den 1970er Jahren.
Schubring repräsentierte innerhalb der NS-Täterschaft mit seiner sozialen Herkunft, mit den von ihm begangenen Kapitalverbrechen und einer „Rache“-motivierten Tatausführung den Typ des „SS-Schergen“ aus den „ungebildeten“ Sozialschichten. Das war die Gegenfigur zum „Schreibtischtäter“ aus den gehobenen Mittelschichten mit seinen sozialen Affinitäten zum höheren Justizpersonal. „Schergen“ hatten es vor Gericht schwerer.iv
Auch Schubring stand jedoch nicht allein. Seit Anfang der 1950er Jahre sammelten sich Helfer zwischen Moers und Rheinhausen hinter ihm. Für sie war er ein „Kriegsgefangener“, der unschuldig und aufgrund eines „Willkürurteils“ hinter Gitter geraten und als Mitglied der heimatlichen Gemeinschaft freizukämpfen sei. Er habe in einem „Partisanenkrieg“, der bis in eine wechselseitige „Raserei“ eskaliert sei, nur Befehle von oben ausgeführt. Die Tatvorwürfe seien beiden Parteien – hier Deutsche, dort Alliierte – wechselseitig anzurechnen, also aufrechenbar. Zur Frage, wie eine Haftentlassung zu erreichen sei, gab es eine Doppelstrategie mit jeweils unterschiedlichen Akteuren.
Die „Arbeitsgemeinschaft ‚Freiheit den Westgefangenen‘“ setzte auf die Mobilisierung der Öffentlichkeit. Sie konstituierte sich aus dem Verband der Heimkehrer (VdH), dem Verband der Kriegsbeschädigten (VdK) und dem Verband deutscher Soldaten (VdS). Kein Teil dieses Bündnisses, aber des strategischen Arbeitszusammenhangs war die Stille Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte. Das war, wie damals allgemein bekannt und wie das sozialdemokratische Zentralorgan Vorwärts 1956 laut Akte feststellte,v eine der westdeutschen „getarnten und nicht getarnten neonazistischen Gruppen“. Dort sprach die Himmler-Tochter Gudrun Burwitz das entscheidende Wort. Zu den Aktivitäten der Stillen Hilfe gehörte die Organisation der Flucht höchstbelasteter Nazis wie Adolf Eichmann oder Josef Mengele nach Südamerika. Aber auch der VdH, der Entschädigungen für die „Leiden der Kriegsgefangenen“ einforderte, oder der VdS, dem sich der Stahlhelm-Bund der Frontsoldaten angeschlossen hatte, hatten Beimischungen aus dem Rechtsaußen-Spektrum. In der Akte nicht genannt, aber diesem Kreis hinzuzufügen, wäre noch die Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS (HIAG), die überall in Westdeutschland mit VdH, VdS, VDK und Stiller Hilfe zur Haftentlassung von im Ausland festgesetzten „Kriegsgefangenen“ kooperierte.
So findet sich denn auch in der Duisburger Akte ein Ausschnitt aus dem Vorwärts vom September 1956.vi Darin ging es um einen 1956 abgehaltenen „Massenaufmarsch“ der HIAG mit mindestens 100.000 Teilnehmern in Minden, darunter belgische Ex-SS-Angehörige, der eine „verständliche Bitterkeit“, also Widerspruch, in der belgischen Öffentlichkeit erzeugt habe.
Am 20. September 1956 fand in der Gaststätte Zur Post in Rheinhausen eine Saalveranstaltung der Arbeitsgemeinschaft statt. Sie unterstützte sowohl Schubring als auch den vormaligen Duisburger Kriminalsekretär Johannes („Hans“) Hoffmann.vii SS-Mitglied, Boxer und bekannt dafür, dass er am Einsatzort Rotterdam „am laufenden Band“ Gefangenen die Kieferknochen zerschlug. Er wurde wegen Erschießungen und exzessiver Misshandlungen in den Niederlanden zum Tode verurteilt, aber 1950 begnadigt und saß im niederländischen Breda ein.
Sprecher waren mit dem Rheinhausener Schulrektor Alfred Dietrich, Vorsitzender des regionalen VdH wie auch der Arbeitsgemeinschaft, dem Duisburger Pfarrer Schulzke und einem Fräulein Ahne von der Stillen Hilfe mehrere Vertreter des städtischen Bildungsbürgertums. Dietrich las zur Demonstration der angeblich unerträglichen Haftbedingungen in Belgien aus Briefen des Häftlings Dr. jur. Eduard Strauch vor. Der im Nürnberger Einsatzgruppenprozess (1947/48) wegen Ermordung einer fünfstelligen Zahl von Juden in Osteuropa zum Tode verurteilte SS-Offizier, war wegen der Ermordung von Kriegsgefangenen nach Belgien ausgeliefert worden und erhielt dort erneut ein Todesurteil. Es wurde wegen angeblicher Geisteskrankheit nicht vollstreckt, so dass er wie Schubring weiterhin einsaß.
Eine weitere Saalveranstaltung organisierte die Arbeitsgemeinschaft im November 1956 in Moers. Der Hauptredner war in diesem Fall der Vizepräsident des VdH Hans Merten. Er verkündete am „Tag der Treue“ einen „Amnestie“-Appell. Alle „politischen Gefangenen in der Sowjetzone und in der Bundesrepublik“ seien zu entlassen. Das dürfte sich ausschließlich auf verurteilte NS-Täter bezogen haben und kaum die nach dem gerade in Kraft getretenen westdeutschen KPD-Verbot in großer Zahl aus politischen Gründen inhaftierten Kommunistinnen und Kommunisten eingeschlossen haben. Merten hatte Schubring namentlich in seine Forderung nach Amnestierung aufgenommen. Bemerkenswert ist, dass es zwar eine gute mediale Resonanz der Veranstaltung gab, aber einen nur sehr schwachen Besuch. Es seien 100 Gäste gewesen, behaupteten die Veranstalter, darunter auch der Landrat mit einem Grußwort, und wiesen enttäuscht auf 5.000 Einladungen hin.viii
Zu Weihnachten 1956 wurden als öffentliche Aktion vom Bürgerverein Rheinhausen, dem Roten Kreuz und der Stillen Hilfe für Schubring „Liebesgabenpäckchen“ gepackt, die ein Pastor de Wilde vom Bürgerverein in Brüssel an Schubring übergab.ix
Die Rheinhausener Allianz aus politischer Mitte und Rechtsaußen wollte von unten die Politik unter Druck setzen. Man gab sich dazu parteipolitisch streng neutral und stellte Schubrings Haftsituation und dessen Frau mit den beiden Kindern in den Vordergrund. Die Verbrechen und deren Opfer blieben vollständig außen vor. Die Berichterstattung der regionalen Zeitungen unterstützte die Aktionen. An keiner Stelle findet sich auch nur ansatzweise ein kritisches Wort oder ein Wort zu den Opfern. Ob und inwieweit die Bevölkerung ebenfalls Schubring Anteilnahme, Wohlwollen und Unterstützungsbereitschaft entgegenbrachte, ist eine offene Frage. Einzelangaben wie etwa die niedrige Besucherzahl zum „Tag der Treue“ 1956 in Moers sprechen eher dagegen.
Für die zweite Variante der Schubring-Unterstützung steht Otto Schulenburg, Mitglied der SPD seit 1911 und Bürgermeister in Rheinhausen von 1946 bis 1961. Spätestens 1952 meldete Schulenburg sich zu Schubring zu Wort. In den folgenden Jahren richtete er wiederholt Gnadengesuche an belgische hohe Instanzen.
Anders als die Arbeitsgemeinschaft mied OB Schulenburg jede Öffentlichkeit und warnte vor ihr. Sein Weg hieß „Vitamin B“, also „gute Beziehungen“ und eine „Hinterzimmerpolitik“. Er reduzierte seine Aktivitäten auf diesem Feld vermutlich vollständig auf den Fall Schubring. Zu den konkreten Straftatbeständen, die dem Täter das Todesurteil eingebracht hatten, äußerte auch er sich nicht. Schubring sei „selbst als Angehöriger der SS-Formation“ stets ein Mann gewesen, dessen „Verhalten einwandfrei“ gewesen sei und dem er „in politischer Hinsicht … nur das beste Führungszeugnis“ ausstelle.
Zu dem Vorsitzenden Dietrich des regionalen VdH, seinem „werten Freund“, stand Schulenburg in einem Duz-Verhältnis, hielt öffentlich aber Abstand.
Ein wichtiger Kontakt war der Hamburger Rechtsanwalt Dr. jur. Kurt Walters mit seinen Kenntnissen des belgischen Rechts und der Verteidigung in NS-Verfahren, der 1955 und 1958 Gnadengesuche für Schubring und als „Denkschrift“ ein juristisches Gutachten formulierte.
Wichtige Adressaten wurden für Schulenburg das Auswärtige Amt, die BRD-Botschaft in Brüssel und die Zentrale Rechtsschutzstelle (ZRS) in Bonn. Die ZRS kümmerte sich um Häftlinge, die von nichtwestdeutschen Gerichten verurteilt worden waren. Sie schrieb Unbedenklichkeitsbescheinigungen, und nach einer Entlassung verteilte sie Haftentschädigungen in zum Teil erheblicher Größe. Sie warnte Täter, die in Westdeutschland nichts zu fürchten hatten, vor dem Besuch von Ländern, in denen sie auf der Fahndungsliste standen. Für die ZRS trug das Schubring-Urteil „erkennbar die Züge deutschfeindlicher Gesinnung in der Nachkriegszeit“.x
Von besonderer Bedeutung war für Schulenburg der oben angesprochene Vizepräsident des VdH, sein Parteifreund MdB Hans Merten, ein vormaliger Wehrmachtspfarrer. Merten hatte die Nürnberger Prozesse grundsätzlich abgelehnt. Die hätten nur „der Ausübung politischer Macht und politischer Gewalt“ gedient. Man müsse „Schluss machen mit jeder Diskriminierung von Deutschen […], Schluss mit der Rechtspraxis, deren Grundlage von dem Willen zur Rache und zur Vergeltung diktiert“ sei.xi
In Schulenburgs Sprache gegenüber dem belgischen Justizministerium kam 1961 ein neuer Ton. Er ordnete seine Bestrebungen nun politisch in die aktuelle Politik ein. Es ging ihm um den gemeinsamen Kampf des „Zusammenschlusses der freiheitlichen Völker des Westens“ im Kalten Krieg gegen den alten Gegner im Osten, und zwar „ohne Rücksicht auf vergangene Schuld“. Das schloss die neuen Alliierten als ebenso schuldbelastet ein wie die deutsche Seite. Und überhaupt, „nach deutscher Rechtsprechung“ wäre Schubring nicht verurteilt worden, so Schulenburg. Das war nicht abwegig, schaut man sich die magere Bilanz der westdeutschen „deutschrechtlichen“ Rechtsprechung in NS-Verfahren bis dahin (und weit darüber hinaus) an. Nun sei aber „endlich ein Schlußstrich unter die Vergangenheit zu ziehen.“xii Auch da war Schulenburg im Konsens mit der westdeutschen Justiz.
In der belgischen Bevölkerung war Antifaschismus hingegen fundamental. 1959 meldete die westdeutsche Botschaft Schulenburg eine parlamentarische „erhitzte Debatte“ nach einer Amnestieinitiative des Justizministeriums zugunsten von Nazi-Verbrechern. Die Medien positionierten sich ausführlich und „im ganzen Land fanden große Demonstrationen statt“.xiii Der Justizminister zog daraufhin seine Initiative zurück. Im Hintergrund der Ereignisse gebe es jedoch – so die westdeutsche Botschaft an Schulenburg – bereits interne politische Schritte, um den Widerstand in der Bevölkerung auszuhebeln, indem Einzelfallentlassungen ermöglicht würden.
Zu den Adressaten von Schulenburgs Schreiben gehörten mit dem Generalsekretär und dem zeitweiligen Innenminister führende Vertreter der belgischen Schwesterpartei der SPD, der Parti Socialiste Belge (PSB). Nicht anders als die westdeutschen führenden Sozialdemokraten vertrat auch die belgische Parteispitze eine – in der Bevölkerung eher unbeliebte – Schweigepolitik zur NS-Belastung, wie auch aus der Schubring-Akte deutlich hervorgeht. Die Antworten aus Brüssel machten Hoffnung auf eine Schubring-Entlassung mit Hilfe der PSB.
Inwieweit die Aktivitäten Schulenburgs und der Arbeitsgemeinschaft „Freiheit den Westgefangenen“ Schubrings Entlassung 1962 bewirkten, lässt sich nicht sagen, aber ein Vergleich zeigt an, dass es ein begrenzter Erfolg war. Schubring hatte immerhin 17 Jahre sitzen müssen.
Da schnitten andere Duisburger Polizeibeamte aus NSDAP und SS besser ab. Der neben Schubring immer wieder unterstützte Breda-Häftling Johannes Hoffmann wurde zwar auch erst 1960 in die BRD abgeschoben, aber dessen Mithäftling dort, Friedrich Viebahn aus Hamborn, verurteilt wegen Teilnahme an der Ermordung von mindestens 54 des Widerstands verdächtigten Niederländern, wechselte nach seiner Entlassung 1960 als Hauptamtlicher in den Bundesnachrichtendienst (BND).xiv Gegen den GFP-Beamten Karl Buchholz wurde in Brüssel zwar wegen Misshandlungen und Tötungsverbrechen ermittelt, er wurde jedoch mit zehn Mitbeschuldigten „after extensive diplomatic wrangling“ abgeschoben. Ein Verfahren hatte er jenseits der Grenze nicht zu erwarten. Der NRW-Innenminister Walter Menzel (SPD) verbot nur seine Wiedereinstellung, was der Duisburger Polizeiausschuss mit einem SPD-MdB an der Spitze mit Erfolg ignorierte.xv Ebenfalls in Belgien vor Gericht stand Schubrings vormaliger Chef, der Oberst der Polizei und Standartenführer der SS Dr. jur. Constantin Canaris.xvi Dem Schreibtischtäter wurden Verschleppungen, Geiselmorde und Misshandlungen vorgeworfen. Er berief sich auf Handeln auf Befehl und Nichtwissen. Das Urteil lautete 1951 auf zwanzig Jahre Haft. Nach nicht ganz acht Monaten war Canaris jedoch wieder auf freiem Fuß und kehrte in seine Leitungsfunktion beim Henkel-Konzern in Düsseldorf zurück. Der Sympathie eines Kleinstadtbürgermeisters bedurfte es dazu nicht.
Ein Beitrag von Dr. Ulrich F. Opfermann (Historiker/Krefeld)
Ulrich Opfermann forscht und publiziert zur NS-Zeit und zum Themenfeld „Roma-Minderheit“. Er ist Mitglied der Gesellschaft für Antiziganismusforschung und des Rom e.V. Köln wie auch im Arbeitskreis „Geschichte der Duisburger Sinti“ am Zentrum für Erinnerungskultur.
Jüngste Publikation: „Stets korrekt und human“. Der Umgang der westdeutschen Justiz mit dem Völkermord an den Sinti und Roma, Heidelberg 2023.
Redaktion: Robin Richterich und Christa Frins (Zentrum für Erinnerungskultur)
i Stadtarchiv Duisburg, Best. 24, Nr. 5.122, Bernhard Schubring.
ii Ebenda, Öffentliche Verhandlung vom 13. Oktober 1949 … Urteil, Beglaubigte Übersetzung, Abschrift von Abschrift.
iii Vermerk Asch, 12.4.1962, Stadtarchiv Duisburg, Best. 24, Nr. 5.122, Bernhard Schubring.
iv Dazu ausführlich: Ulrich Friedrich Opfermann, „Stets korrekt und human“. Der Umgang des westdeutschen Justiz mit dem NS-Völkermord an Sinti und Roma, Heidelberg 1923, passim.
v Nächstenliebe oder politische Solidaritätsaktion?, in: Vorwärts, 17.2.1956, in: Vorwärts, 28.9.1956; Zur Stillen Hilfe: Oliver Schröm/Andrea Röpke. Stille Hilfe für braune Kameraden: das geheime Netzwerk der Alt- und Neonazis, Berlin 2002; http://www.neuengamme-ausstellungen.info/content/documents/thm/ss5_2_1_thm_2152.pdf.
vi Brüssel ist ohne Illusion, in: Vorwärts, 28.9.1956.
vii Ad van Liempt, De jacht op het verzet. : het meedogenloze optreden van Sicherheitsdienst en Nederlandse politie tijdens de Tweede Wereldoorlog, Amsterdam 2013, passim; Dick W. de Mildt/Joggli Meihuizen, „Unser Land muß tief gesunken sein …“ Die Aburteilung deutscher Kriegsverbrecher in den Niederlanden, in: Norbert Frei, (Hg.): Transnationale Vergangenheitspolitik. Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen 2006, S. 283-325, hier: S. 310, 318.
viii Rheinische Post, 26.11.1956.
ix Bürgerverein beschenkt B. Schubring, in: Westdeutsche Allgemeine, 22.12.1956.
x Dr. Redens, ZRS an Schulenburg, 24.11.1960, Stadtarchiv Duisburg, Best. 24, Nr. 5.122.
xi Manfred Görtemaker/Christoph Safferling, Die Akte Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit, München 2016, S. 245.
xii Schulenburg an den belgischen Justizminister, 27.2.1961, Stadtarchiv Duisburg, Best. 24, Nr. 5.122.
xiii Westdeutsche Botschaft in Brüssel an Schulenburg, 28.9.1959, ebenda.
xiv Sabrina Nowack, Sicherheitsrisiko NS-Belastung: Personalüberprüfungen im Bundesnachrichtendienst in den 1960er Jahren, Berlin 2016, S. 480.
xv LA NRW, Abt. Rheinland, BR 1.111, Nr. 1; ebenda, NW 1.004-G41.A1, Nr. 1.300; Stefan Noethen, Alte Kameraden und neue Kollegen. Polizei in Nordrhein-Westfalen 1945-1953, Essen 2003, S. 332f.; Peter Lagrou, 1945-1955. The Age of Total war, in: Frank Biess/Robert G. Moeller, Histories oft he Aftermath, Oxford 2010, S. 287-296, hier: 293f.
xvi Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt a. M. 2003, Ernst Klee, S. 90.