Teil 4: Täter*innenforschung im Arbeitskreis Antiziganismus des Zentrums für Erinnerungskultur
Karl Friedrich Knoche (1880–1969) – Ein Duisburger Polizist im Dienst des NS-Staates
Während der NS-Zeit kam es durch die Duisburger Kriminalpolizei, insbesondere durch die dafür ab 1941 eingerichtete Dienststelle »K I (Z)« („Kriminalinspektion Zigeuner“) zur Verfolgung und Ermordung von Menschen, die der Minderheit der Sinti in Duisburg angehörten. Federführend im K I (Z) war der Kriminalobersekretär Wilhelm Helten (1891–1968).[1] Neben Helten trat aber auch der Kriminalobersekretär Karl Friedrich Knoche in dieser Dienststelle, die an das 5. Kommissariat angegliedert war, in Erscheinung.[2] Sein Wirken bei der Verfolgung der Duisburger Sinti blieb bisher im Dunkeln und ist weitgehend unbekannt. Wer aber war Knoche, der als Kollege des Kriminalobersekretärs Helten an der systematischen Verfolgung dieser Minderheit mitwirken sollte? Wie wirkte sich seine Arbeit auf die Tätigkeit des „K I (Z)“ aus?
Karl Friedrich Knoche wurde am 13.12.1880 in Hückeswagen (Oberbergischer Kreis, Regierungsbezirk Köln) geboren. Nach dem Besuch der dortigen Volksschule zog er nach Düsseldorf, wo er bis 1913 die Polizeischule besuchte. Im selben Jahr kam Knoche in die bis dahin noch eigenständige Stadt Hamborn, wo er bis 1927 als Polizei-Sergeant[3] im Streifendienst tätig war. Befördert zum Kriminalobersekretär, war er ab 1927 für die staatliche Kriminalpolizei im Innen- und Außendienst tätig[4]. Bis zu seiner Zwangspensionierung 1946 sollte Knoche bei der Polizei Duisburg verbleiben. Im Zusammenhang mit seinem Beruf war Knoche Mitglied im Kameradschaftsbund der Deutschen Polizeibeamten[5], der als NS-Nachfolgeorganisation aufgelöster Polizeigewerkschaften der Weimarer Republik galt.[6] Zusätzlich trat er nach eigenen Angaben im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens zwischen 1930 und 1933 als Mitglied eines „Republikanischen Clubs Duisburg“[7] in Erscheinung.[8]
Der Kriminalobersekretär Knoche im NS-Staat
Auf den ersten Blick zeugt dieser Werdegang von einer herkömmlichen Karrierelaufbahn. Knoche arbeitete sich von einem einfachen Streifenpolizisten zu einem Kriminalobersekretär mit weitreichenden Kompetenzen hoch. Seine Beförderung fällt des Weiteren in die Zeit vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten, womit eine Verbesserung seiner Stellung im Zusammenhang mit dem ideologischen Umbau der Polizei bzw. deren Umstrukturierung im Sinne der nationalsozialistischen „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ ab 1933 ausscheidet. Seine von ihm postulierte Mitgliedschaft im Republikanischen Club könnte auf eine republikanische Orientierung Knoches hindeuten. Diese brachte ihn scheinbar auch in Konflikt mit dem NS-Staat und sollte laut eigenen Angaben zur Aberkennung seines Beamtenstatus als „politischer Beamter“ führen.[9] Dennoch muss in Anbetracht von Knoches späterer Involvierung in die Arbeit des Kommissariats sowie einer fehlenden beruflichen Degradierung sein Berufsweg ab 1933 gesondert betrachtet werden. Er gab im Entnazifizierungsverfahren an, nach 1933 „jahrelang Kommissariatsleiter“ „in den verschiedensten Kommissariaten“ gewesen zu sein. Das dürfte, ohne mindestens eine überzeugende Loyalität gegenüber seinen Auftraggebern, kaum möglich gewesen sein.[10]
Knoche trat nach der vierjährigen Eintrittssperre am 01.05.1937 in die NSDAP ein.[11] Laut eigener Aussage fand die Aufnahme in die Partei der Nationalsozialisten aber nicht auf seinen aktiven Wunsch hin statt, sondern fiel vielmehr mit einem damaligen, allgemeinen Aufnahmeverfahren von Amtswegen her zusammen.[12] Bei dieser Behauptung handelt es sich nachweislich um eine Falschaussage, da Aufnahmen in die NSDAP ausschließlich auf Freiwilligkeit basierten. Niemand wurde ohne persönliche Mitwirkung Parteimitglied.[13] Vor einem Eintritt lag ein persönlicher Antrag. Der bedurfte der doppelten Zustimmung durch die Grund- und durch die Gauorganisation. Gleichzeitig verwies Knoche in seinem Entnazifizierungsverfahren darauf, dass er lediglich Beitragszahlungen an die NSDAP geleistet, aber kein Parteibuch besessen hätte.[14] Tatsächlich wurden Parteibücher nur auf ausdrücklichen Antrag ausgegeben. Parteikarten waren der Standard, womit Knoches fehlendes Parteibuch nicht als Besonderheit bzw. als Zeugnis einer fehlenden Parteinähe gewertet werden kann.
Zu seinen Mitgliedschaften in Gliederungen der NSDAP und ihr angeschlossenen Verbänden machte er nach den drei vorliegenden Fragebögen unterschiedliche Angaben. Von der Mitgliedschaft ohne Funktionen in den Massenorganisationen NS-Volkswohlfahrt (NSV) und Reichsluftschutzbund (RLB) lässt sich als bedeutungslos absehen; laut dem Fragebogen vom 22.5.1945 war er allerdings auch Mitglied im Volksbund für das Deutschtum im Ausland (VDA), beim Reichskolonialbund (RKB) und sogar als „förderndes Mitglied“ in der SS. So teilte es auch der „Fragebogen Action Sheet“ vom 9.3. oder 6.1946 dem Entnazifizierungsausschuss mit. Der Fragebogen vom 22.2.1949 zur Revisionsentscheidung des Ausschusses nannte diese drei Mitgliedschaften nicht mehr. Anders als bei NSV und RLB handelte es sich bei VDA, RKB und SS um Zusammenschlüsse, die in größter Offenheit und ohne die karitative Verkleidung der NSV und des RLB das rassistische Eroberungsprogramm der Nazis propagiert hatten. Sie bedeuteten eine Nähe zum NS-System und dessen politischen Vorhaben, die Knoche in seiner Entnazifizierung hätte schaden können. Dass er, wie er einräumte, 1942 oder 1943 aus der Kirche ausgetreten sei, spricht zudem für eine Nähe zur SS über eine Fördermitgliedschaft hinaus. Nach dem Urteil der Militärregierung von 1946 sollte er daher aus Sicherheitsgründen nicht wieder „his former post of Kriminalbeamter“ einnehmen können. „Retained but reduced in position“ hatte er sie zu verlassen. Knoche ging in Pension, erhielt im Revisionsverfahren die Kategorie V und die vollen Ruhebezüge, da er nun als „unbelastet“ galt. Der Fall Knoche ist exemplarisch für den Gang der Entnazifizierung.
Wie wirkte sich Knoches Tätigkeit auf die Arbeit des „K I (Z)“ bzw. auf die Duisburger Sinti aus? Ab 1941, mit der Einrichtung der Dienststelle bei der Kriminalpolizei Duisburg, nahm er Aufgaben wahr, die sich – wie es im NS-Jargon hieß – mit „Zigeunerfragen“ befassten. Im Gegensatz zu seinem Kollegen Helten, der aktiv an der Verfolgung und Entrechtung der Duisburger Sinti mitwirkte und daran maßgeblich Anteil hatte, scheint sich die Rolle Knoches zuerst auf bürokratische Tätigkeiten beschränkt zu haben. Aus verschiedenen Akten geht hervor, dass der Kriminalobersekretär in der Regel Protokolle beglaubigte und Angaben prüfte, wie im Fall des Verhörs von Wolfgang Seeger. Oder Anträge, beispielsweise auf einen Umzug, wie im Fall von Wolfgang Seeger, genehmigte und im gleichnamigen Fall auf einen Wandergewerbeschein ablehnte.[15] Nach dem Krieg erhob Johann Seeger den Vorwurf, dass Knoche und sein damaliger Kollege Jacob(s)[16] die Familie 1940/41 verhaftete sowie deren Wohnwagen samt Besitz beschlagnahmte. Der Wagen selbst wurde 1943 durch einen Bombenangriff zerstört. Knoche wies die Vorwürfe von sich. Letztlich konnten nach Meinung des Entschädigungsamts keine ausreichenden Beweise gefunden werden und die Vorwürfe wurden fallengelassen.[17] Im Fall Bernhard Rosenberg[18] belasteten mehrere überlebende Duisburger Sinti Karl Knoche, an Verhaftungen im Zusammenhang mit der ersten großen Deportation nach Polen im Mai 1940 beteiligt gewesen zu sein, bei der insgesamt 85 Menschen aus Duisburg nach Köln und dann weiter in Ghettos und Arbeitslager des Generalgouvernements deportiert wurden.
Mehrere Polizisten drangen in die Wohnung von Bernhard Rosenberg ein, verhafteten ihn und brachten ihn in die Polizeikaserne in Duisburg-Neudorf. Dort wurden die zu deportierenden Duisburger Sinti-Familien inhaftiert. Maßgeblich geleitet hat Knoche diese Aktion zusammen mit seinen Kollegen Wilhelm Helten und Dr. Josef Ochs, dem für das Rheinland zuständigen Sonderbeauftragten für die Massendeportation (Wer war Josef Ochs? – Zentrum für Erinnerungskultur (erinnerungskultur-duisburg.de)).
Kriminalobersekretär a.D. – Knoche nach 1945
Mit dem Zusammenbruch der NS-Herrschaft und der Einrichtung der britischen Besatzungszone 1945 wurde der mittlerweile 65-jährige Knoche von den Briten beurlaubt und 1946 in den Ruhestand versetzt. Aufgrund seiner Mitgliedschaften in diversen NS-Organisationen und seiner beruflichen Stellung konnte Knoche auf Beschluss des „Military Government of Germany“ seinen früheren Beruf nicht mehr ausüben. Dennoch gestattete man ihm volle Bezüge, da keine aktive NSDAP-Mitgliedschaft, keine politischen Ämter oder sonstige Verbrechen oder Nutznießerschaften nachgewiesen werden konnten.[19]
Zweifellos hatte Knoche durch seine Arbeit in der Kriminalinspektion Z. einen Anteil an der systematischen Entrechtung, Diskriminierung und Verfolgung der Duisburger Sinti. Seine Tätigkeit ist im Kontext der systematischen Entrechtung und Exklusion, die von Seiten der Kriminalpolizei im NS-Staat betrieben wurde, zu betrachten. Ob er an direkten, unmittelbaren oder greifbaren Gewaltmaßnahmen beteiligt war, muss offenbleiben. Letztlich lassen auch die Vorwürfe bzw. Verwicklungen in den Fällen Seeger und Rosenberg, obwohl Knoche offiziell nichts nachgewiesen werden konnte, Zweifel an seinem Handeln aufkommen. Aber auch als „klassischer Schreibtischtäter“ hatte seine Tätigkeit erhebliche Konsequenzen für die betroffenen Menschen (und das war Knoche bekannt): angefangen mit erniedrigenden, amtlichen Schikanen im Zuge der geforderten Anträge und Bescheinigungen, bis hin zu konkreten Gefahren für das Wohl der Betroffenen, wenn Informationen oder Akten weitergeleitet wurden, die Verhaftungen und Einweisung ins KZ zur Folge haben konnten. Die Motivation Knoches bleibt dabei im Dunkeln. Seiner Biografie folgend, handelte es sich beim Kriminalobersekretär mit großer Wahrscheinlichkeit um einen Mitläufer, der, um sich und seine Position zu schützen, das NS-Regime mittrug und seinen geforderten Anteil daran nahm, ohne ihn zu hinterfragen. Ob er auch aus ideologischer Überzeugung handelte, bleibt offen. Mit seinem Handeln trug Knoche zur Stabilisierung des NS-Staates und der erfolgten systematischen Diskriminierung, Verfolgung und Ermordung von Minderheiten wie den Duisburger Sinti bei. Mit Verweis auf die beiden Fälle Seeger und Rosenberg scheint aber auch eine aktive Täterschaft Karl Friedrich Knoches letztlich nicht ausgeschlossen.
Ein Beitrag von Julian Ruloff, Redaktion: Robin Richterich
[1] Brochhagen, Nicolás: „Fachwissen und Diensteifer“ bei der „Bekämpfung des Zigeunerunwesens“.
Kriminalpolizist Wilhelm Helten als Akteur der Verfolgung Duisburger Sinti während der Zeit des
Nationalsozialismus. In: Duisburger Forschungen Band 63. Essen 2020, S. 245-262.
[2] Lüpke-Schwarz, Marc von: „Zigeunerfrei!“ Die Duisburger Kriminalpolizei und die Verfolgung der Sinti
und Roma 1939 – 1944. Saarbrücken 2008, S. 41.
[3] Bei „Sergeant“ handelte es sich um den Einstiegsdienstgrad bei der preußischen Polizei.
[4] Ab 1927 wurden im Zuge der Verstaatlichung der kommunalen Polizei die Polizeiangehörigen in den Staatsdienst überführt.
[5] LAV NRW Landesarchiv NRW R, NW 1004-G44.1, Sgn. 224.
[6] S. Volquardts, Elisabeth: Beamtenverbände im Nationalsozialismus, München 2001, S. 127, 163.
[7] Bisher konnten keine Informationen über die Existenz dieses Clubs gefunden werden.
[8] LAV NRW Landesarchiv NRW R, NW 1004-G44.1, Sgn. 224.
[9] Ebenda.
[10] Ebenda.
[11] Das genaue Datum mit dem Antrag auf Aufnahme in die NSDAP ist unbekannt, entsprechende Zeilen in der „Gaukartei“ sind nicht ausgefüllt.
[12] Bundesarchiv, R 9361-IX Kartei, 21300802.
[13] https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Virtuelle-Ausstellungen/Pg-Zum-Mitgliedschaftswesen-Der-Nsdap/pg-zum-mitgliedschaftswesen-der-nsdap.html .
[14] LAV NRW Landesarchiv NRW R, NW 1004-G44.1, Sgn. 224.
[15] LAV NRW Landesarchiv NRW R, BR 1111, Nr. 49.
[16] In Duisburg gab es keinen Polizeibeamten mit Namen Jacob, dafür aber ein Kriminal-Oberassistent Jacobs bei der Kriminalpolizei Essen, der vorgesetzten Dienststelle. Über ihn ist bisher nichts Näheres bekannt.
[17] LAV NRW Landesarchiv NRW R, BR 1111, Nr. 60.
[18] Vgl. Akte Bernhard Rosenberg.
[19] LAV NRW Landesarchiv NRW R, NW 1004-G44.1, Sgn. 224.
Dieser Beitrag entstand im Rahmen der Ausstellung „Die Kommissare. Kriminalpolizei an Rhein und Ruhr 1920–1950“ im Landesarchiv Duisburg, die durch das Zentrum für Erinnerungskultur um einen lokalen Teil ergänzt wurde.