Was passierte nach der „Arisierung“ mit der Familie Lauter und den jüdischen Mitarbeitern des Kaufhauses Gebr. Alsberg?
Der Übergang des Alsberg-Kaufhauses „in arischen Besitz“ im Mai 1936 traf die jüdischen Inhaber und die Mitarbeiter massiv. Alle jüdischen Mitarbeiter:innen des Kaufhauses in der Beekstraße 21 wurden entlassen. Eine erste Auswertung der Kurzbiografien in der „Geschichte der Duisburger Juden“ von Günter von Roden und Rita Vogedes zeigt, dass mehr als 30 jüdische Alsberg-Mitarbeiter Opfer von Ausgrenzung, Verfolgung und Deportation wurden. Exemplarisch steht dafür das Schicksal des ehemaligen Chefdekorateurs Feodor Löwenthal, der „by the way“, mehrmals wegen des Verdachts der Beleidigung des Führers verhaftet wurde. Löwenthal verließ NS-Deutschland noch vor dem Pogrom im September 1938 und ging illegal nach Holland. Im September 1943 kam er jedoch mit seiner Ehefrau und Tochter ins Durchgangslager Westerbork und von dort aus im Februar 1944 nach Theresienstadt. Hier wurde er im Mai 1945 von den Alliierten befreit – seine Frau Emma starb noch kurz nach der Befreiung im ehemaligen Lager Theresienstadt. 1965 lebte der ehemalige Chefdekorateur des Alsberg-Kaufhauses in Südafrika.
Weitere Beispiele für die lokale Auswirkung der antisemitischen Gewalt in der NS-Zeit sind in den nüchtern gehaltenen Kurzbiografien zu finden. Einigen Mitarbeitern des Kaufhauses Alsberg gelang die Emigration in die USA, Großbritannien, den Niederlanden, der Schweiz, Argentinien (Buenos Aires), Chile, Japan (Yokohama) oder China (Shanghai).
Es traf nicht „nur“ Angestellte des Alsberg Hauses, sondern auch die Unternehmerfamilie Lauter, die Anteile an dem Alsberg-Unternehmen hielt. Die Rolle von Helmut Horten beim Kauf des Unternehmens ist dabei ambivalent. Die Forschungen zeigen, dass er nach dem Kauf des Warenhauses weiter Kontakt zu den Voreigentümern hielt. Die Familie Lauter besaß nämlich noch bis 1938 die Immobilie. Horten erwarb sie für 1,13 Millionen Mark und ebenso die Lauter-Villa an der Prinz-Albrecht-Straße in Duissern. Zudem unterhielt er eine Geschäftsbeziehung mit dem ehemaligen jüdischen Mitarbeiter des Hauses, Kurt Lauter. Das blieb der Gestapo nicht verborgen. Kurt Lauter arbeitete nämlich als Handelsvertreter weiter mit Horten, Fahning und dem Westdeutschen Kaufhof zusammen. Eine Aktennotiz der Gestapo vom Februar 1937 zeigt, dass Helmut Horten sich nach Lage der Dinge durch weiter aufrechterhaltene Geschäftsbeziehungen zu einem Angehörigen der Familie Lauter eigentlich strafwürdig verhalten hatte. Kurt Lauter kam – wie viele Juden – am 10. November nach dem Pogrom in das Konzentrationslager Dachau, wo er bis zum 1.12.1938 inhaftiert war.
Ausgrenzung und Verfolgung jüdischer Mitbürger verschärften sich zunehmend. Seit 1938 bewohnte die Witwe Amalie Lauter zusammen mit ihren Söhnen eine 6-Zimmer-Wohnung im 2. Stockwerk auf der Kardinal-Galen-Str. 28 – damals Hindenburgstraße. Am Morgen des 9. November 1938 drangen sechs Nationalsozialisten in das Haus ein, um in die Wohnung der Familie Lauter zu stürmen. Der Hausbesitzer konnte sie überreden, stattdessen in den Keller zu gehen, um die dortigen Weinvorräte zu plündern. Am Nachmittag zerstörten zwei andere Parteigenossen Teile der Wohnung, vor allem Porzellan, Glas und einige Bilder.
Der Entschluss zur Emigration stand nunmehr in der Familie Lauter fest. Über das Ende von Amalie Lauter schreibt ihre Schwiegertochter Berta Lauter: „Das Schlimmste, was wir erlebten, war, dass wir meine Schwiegermutter, die damals fast siebzig Jahre alt war, in Duisburg zurücklassen mussten. Wir hatten ihr versprochen, sie nachkommen zu lassen, sobald das möglich sein würde. Sie musste aus ihrer Wohnung heraus, wurde in Meiderich in eine Massenwohnung [in einem sogenannten „Judenhaus“ auf der Baustraße 34/36] eingewiesen und am 25. September 1942 erst nach Theresienstadt, dann nach Ausschwitz deportiert, wo sie umgekommen ist. Ihren Söhnen blieb nur ein enges Zeitfenster zur Flucht. Die Reichsfluchtsteuer und der Vermögensverlust waren kein Hindernis; es ging ums Überleben. Ernst Lauter, einst neben seinem Vater ehemals persönlich haftender Alsberg-Gesellschafter, emigrierte 1939 mit seiner Frau Berta Lauter nach den USA, wo er zunächst als Arbeiter in einer Großschlächterei tätig war.
Seinem älteren Bruder Erich gelang es, mit seiner Ehefrau am 4. September 1940 über Yokohama (Japan) nach New York auszuwandern, wo er am 8. Juli 1950 starb. Der jüngerer Bruder Kurt (auch: Curt) Lauter wanderte am 18. April 1939 nach Shanghai aus. Damals nahmen nur wenige Länder und Städte noch jüdische Flüchtlinge auf. Ein Ticket für die Passage nach Shanghai zu ergattern, war ein Glücksfall. Nach beschwerlicher Schiffsreise erreichte Kurt Lauter endlich Shanghai. Dort erhielt er 1940 die Einwanderungserlaubnis nach den USA.
Während zahlreiche Mitarbeiter:innen – wenn sie nicht ermordet wurden – in ihrer neuen Heimat eine neue Existenz aufbauen mussten, gelang es Horten nach dem Zweiten Weltkrieg an seinen wirtschaftlichen Erfolg, der in Duisburg begann, wieder anzuknüpfen.
Die Frage lautet: War der Kaufhausmilliardär Helmut Horten ein Nachkriegs-Wirtschaftswunder oder ein Profiteur der Arisierung? Die wissenschaftliche Aufarbeitung der unternehmerischen Tätigkeit von Helmut Horten erfolgte durch Herrn Prof. Dr. Hoeres, Inhaber des Lehrstuhls für Neueste Geschichte der Universität Würzburg, unter Mitarbeit von Dr. Maximilian Kutzner. „Die bisher vielfach vorgebrachte Annahme, dass der Grundstock von Helmut Hortens Vermögen aus der NS-Zeit stamme, sei nur sehr eingeschränkt zutreffend“, so Prof. Dr. Hoeres. Die Ergebnisse zeigen ein differenziertes Bild des Unternehmers Helmut Horten und korrigieren die gängige Berichterstattung.
Das Gutachten wurde auf der Website des Lehrstuhls für Neueste Geschichte des Instituts für Geschichte der Julius-Maximillians-Universität Würzburg veröffentlicht und ist hier abrufbar.
An das Kaufhaus „Gebrüder Alsberg“, Beekstr. 21, erinnert in Duisburg nichts mehr. Was geblieben ist, sind wenige Geschäftsfotos, eine Postkarte, Zeitungsannoncen und – in physischer Form – ein Tragegriff.
Quellen:
Günter von Roden: Geschichte der Duisburger Juden (Duisburger Forschungen 34/2 (1986), insb. S. 927–933; S. 971–975. Duisburg 1986.
Autor: Harald Küst
Redaktion: Robin Richterich